Attikageschoss: Abweichende Positionierung des Attikageschosses
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Ausgangslage und Sachverhalt
Die so genannte abweichende Positionierung des Attikageschosses bietet Bauherren und Bauherrinnen einen wichtigen Gestaltungsspielraum eines Dachgeschosses auf einem Flachdachgebäude. Die Baureglemente der Gemeinden Eschenbach und Gommiswald enthalten die (identische) Bestimmung, wonach eine abweichende Positionierung des Attikageschosses zulässig ist (Art. 21 Abs. 2). Die Gemeinden Gommiswald und Eschenbach haben als eine der ersten Gemeinden im Kanton St.Gallen ihr Baureglement an das neue PBG SG angepasst.
Das neue PBG SG trat am 1. Oktober 2017 in Kraft. Innert zehn Jahren müssen die politischen Gemeinden im Kanton St.Gallen ihre Rahmennutzungspläne (Zonenplan und Baureglement) an das neue Recht anpassen. In naher Zukunft werden alle weiteren Gemeinden im Kanton St.Gallen ihre Baureglemente an das neue PBG SG anpassen müssen, weshalb es angezeigt ist, den erwähnten Entscheid des BUDE genauer zu analysieren. Dieser beschäftigt sich mit der Auslegung von Art. 21 des Baureglements Gommiswald, demgemäss eine abweichende Positionierung des Attikageschosses zulässig ist (Abs. 2).
Im alten Baugesetz (aBauG SG) war der Dachraum nicht geregelt. Mit dem PBG SG wurde die Normierung des Dachraums vereinheitlicht. Gemäss Art. 85 Abs. 1 PBG SG bezeichnet der Dachraum den Raum zwischen der höchsten zulässigen Gebäudehöhe und der höchstens zulässigen Gesamthöhe unter Einhaltung des nach Art. 84 Abs. 2 PBG festgelegten Winkelmasses. Bei der Festlegung einer Gebäudehöhe definiert eine Gemeinde zugleich die Ausgestaltung des Dachraumes, der den Raum zwischen Gebäudehöhe und Gesamthöhe bildet. Die Gemeinden können aber auch nur die Gesamthöhe festlegen. Für die Bestimmung des Dachraums wird auf wenigstens zwei Gebäudeseiten ein Winkelmass festgelegt. Auf den anderen Gebäudeseiten, beispielsweise auf den Giebel- oder Breitseiten, kommen die Gebäudehöhe und das Winkelmass nicht zur Anwendung. Der Dachraum darf auf diesen Seiten ohne Einschränkung bis an die Fassade der darunterliegenden Stockwerke reichen. Das Winkelmass ist bei den traufseitigen Fassaden ab der maximalen Gebäudehöhe einzuhalten. Das Winkelmass, das zusammen mit der Gebäudehöhe und der Gesamthöhe das Dachraumprofil ergibt, darf in den Baureglementen auf maximal 60 Grad angesetzt werden. Die Gemeinden können auf die Bestimmung der zwei Gebäudeseiten auch verzichten und damit den Bauherren bzw. Bauherrinnen die freie Wahl der Traufseiten (z.B. auch übereck oder auf den Breiteseiten) überlassen. Sie haben aber auch die Möglichkeit, die Gebäudehöhe und das Winkelmass allseits anzuordnen oder solche Bestimmungen im Baureglement gänzlich wegzulassen.[1]
[1] Bernet Christoph, in: Komm. PBG SG, Art. 73-89, N 120 ff.
Die politischen Gemeinden können in den Baureglementen Dachaufbauten zulassen, die als Bruchteil des Fassadenabschnittes bezeichnet werden. Diese dürfen auf einem bestimmten Bruchteil (beispielsweise 1/2 oder 1/3) des Fassadenabschnittes ein Winkelmass bis 90 Grad aufweisen (Art. 85 PBG SG), d.h. bis an die Fassade des darunterliegenden Stockwerks reichen.[1]
Eine Reihe von politischen Gemeinden im Kanton St. Gallen lassen in ihren Baureglementen die Möglichkeit zu, das Attikageschoss abweichend zu positionieren. Bei einem abweichend positionierten Attikageschoss darf dessen Grundfläche jenes Mass nicht übersteigen, das sich aus dem anwendbaren Dachprofil (bspw. 45-Grad-Rücksprung auf den Längsseiten) für ein Standard-Attikageschoss ergibt. Auf diese Weise kann ein Attikageschoss beispielsweise fassadenbündig mit der ganzen Nordfassade oder übereck angeordnet werden.[2]
Grundsätzlich lassen Art. 84 und 85 PBG SG die Möglichkeit einer abweichenden Positionierung des Attikageschosses zu. Die politischen Gemeinden haben die Möglichkeit, den Dachraum anzuordnen oder wegzulassen, die Traufseiten zu definieren oder als wählbar zu bezeichnen sowie das Winkelmass und die Bruchteile der Fassadenabschnitte festzulegen. Das Winkelmass darf bis 60 Grad für das Dachprofil und bis 90 Grad für den Bruchteil des Fassadenabschnittes aufweisen, dieser Bruchteil ist unbegrenzt und kann demnach von 0 bis 1/1 bzw. 0 bis 100% reichen.[3] Die Bestimmung über eine abweichende Positionierung des Attikageschosses hat aber gemäss BUDE die Begrifflichkeit des PBG SG zu übernehmen, womit die bisherigen Formulierungen in den Baureglementen der Gemeinden nicht mehr zulässig sind:
Beurteilung der Regelung im Baureglement der politischen Gemeinde Gommiswald betreffend frei positionierbarer Attikageschosse durch das Bau- und Umweltdepartements des Kantons St. Gallen
Die Gemeinde Gommiswald hat für die Wohnzone W10.5 eine Gesamthöhe von 10,5m festgelegt. Zudem hat sie die Gebäudehöhe auf 7,5m beschränkt und dabei ein Winkelmass im Dachraum auf Längsseiten von 45 Grad auf einem Bruchteil je Fassadenabschnitt 1/2 und eine talseitige Fassadenhöhe von 10m festgelegt. Art. 21 Abs. 1 Baureglement der Gemeinde Gommiswald konkretisiert, dass als Attikageschosse auf Flachdächer aufgesetzte Geschosse gelten, die ganz oder teilweise im Dachraum (d.h. über der maximalen Gebäudehöhe) liegen. Dessen Masse sind in der Tabelle der Regelbauweise festgelegt. Eine abweichende Positionierung des Attikageschosses ist gemäss Art. 21 Abs. 2 Baureglement der Gemeinde Gommiswald ausdrücklich zulässig.
Nach Auffassung des BUDE (E. 5.1.2 f.) lässt das PBG SG den Gemeinden keinen Raum mehr, zusätzlich zur kantonalen Regelung weitergehende Vorschriften zu erlassen. Mit anderen Worten sollen die Gemeinden nur noch die Masse festlegen können, nicht aber neue Baubegriffe schaffen können (wie «Attikageschoss»). Regle die Gemeinde wie im vorliegenden Fall nebst der Gesamthöhe auch die Gebäudehöhe samt Winkelmass für den Dachraum, habe sie dafür nach dem klaren Gesetzeswortlaut nebst dem Winkelmass auch den entsprechenden Fassadenabschnitt zu bestimmen. Dies habe die Gemeinde Gommiswald zwar getan. Weiter regle sie aber auch das Verschieben der durch das Winkelmass und die Fassadenabschnitte erzielten Grundfläche, was nach dem neuen PBG SG nicht mehr möglich sei. Vielmehr seien die (freiwillig) gewählten Winkelmasse und Fassadenabschnitte zwingend einzuhalten. Frei platzierbare Attikageschosse seien nur noch insofern möglich, als dafür hohe Bruchteile für Fassadenabschnitte (Art. 85 Abs. 2 PBG) bestimmt würden, wodurch diese bis zur Gesamthöhe reichen könnten. Sodann stehe es den Gemeinden frei, auf die Angaben betreffend Gebäudehöhe und Winkelmass für Dachraum gänzlich zu verzichten.
Nach dem Gesagten ist das Festlegen der Gebäudehöhe im PBG SG (Art. 79 Abs. 2 PBG) nicht zwingend vorgeschrieben. Die Gemeinde muss dann allerdings damit rechnen, dass auch ein Vollgeschoss erstellt werden kann. Der Entscheid des BUDE schränkt das Interesse der Bauherren bzw. Bauherrinnen an einer möglichst grossen Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Dachaufbauten / Attikageschosse erheblich ein. Der Entscheid erscheint insbesondere deshalb als wenig praxisnah, weil das BUDE das Verbot der abweichenden Positionierung des Attikageschosses mit der Tatsache begründet, dass die Formulierung gemäss aktuell gültigem Baureglement mit den Begrifflichkeiten des PBG SG nicht mehr vereinbar sei. Tatsache ist, dass sich der Begriff «Attikageschoss» im Bauwesen durchgesetzt hat und kein triftiger Grund ersichtlich ist, weshalb dieser Begriff vom rechtlichen Sprachgebrauch ausgeschlossen werden soll. Damit erscheint der Entscheid des BUDE formalistisch, zumal mit dem neuen PBG SG wohl nicht die liberale Grundhaltung, bestimmte Gebäude- oder Dachformen zu privilegieren, abgeschafft bzw. bisherige Bauformen und zweckmässige Lösungen verhindert oder erschwert werden sollten.[4]
[1] Bernet Christoph, in: Komm. PBG SG, Art. 73-89, N 131 ff.
[2] Bernet Christoph, in: Kommentar PBG SG, Art. 73-89, N 136.
[3] Bernet Christoph, in: Kommentar PBG SG, Art. 79-89, N 136.
[4] vgl. Bernet Christoph, in: Kommentar PBG SG, Art. 79-89, N 137 f.
Seminar-Empfehlungen
Rechtslage im Kanton Zürich
Schweizweit sollen die Baubegriffe und Messweisen harmonisiert werden.[1] Die Änderung des Planungs- und Baugesetzes des Kantons Zürich (PBG ZH) und der dazugehörigen Verordnungen wurde im Kanton Zürich per 1. März 2017 in Kraft gesetzt. Die Änderung wird in den Gemeinden jedoch erst wirksam, wenn diese ihre Bau- und Zonenordnungen ebenfalls harmonisiert haben. Bis dahin gilt, dass Dachaufbauten, welche traufseitig die hypothetische Dachprofillinie, die unter 45° an die Schnittlinie zwischen der tatsächlichen Dachfläche (des obersten Vollgeschosses) und der dazugehörigen Fassade ansetzt, durchstossen (d.h. mit der betreffenden Fassade bündig sind), bei Flachdächern insgesamt nicht breiter sein dürfen als ein Drittel der betreffenden Fassadenlänge. Giebelseitig darf das Attikageschoss mit der Fassade des Vollgeschosses bündig sein.[2] Die Ausrichtung des hypothetischen Dachfirstes und damit der hypothetischen Traufseite wird so ermittelt, wie wenn beim betreffenden Gebäude effektiv ein Schrägdach erstellt würde. Im Regelfall verläuft der Dachfrist eines Schrägdaches parallel zur Gebäudelängsseite, ausnahmsweise quer zur Gebäudeseite. Im Kanton Zürich sind als Stirnseiten diejenigen Fassaden anzunehmen, die im Falle eines Schrägdachs die massgeblichen Giebelseiten darstellen. Dies sind bei Gebäuden mit Grundrissen in Form eines lang gezogenen Rechtecks in aller Regel die Schmalseiten.[3]
[1] Interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der Baubegriffe (IVHB)
[2] Fritzsche Chrisoph/Bösch Peter/Wipf Thomas/Kunz Daniel: Zürcher Planungs- und Baurecht, 6. Aufl. 2019, S. 1185 f.
[3] Fritzsche Chrisoph/Bösch Peter/Wipf Thomas/Kunz Daniel: Zürcher Planungs- und Baurecht, 6. Aufl. 2019, S. 1188.
Gemäss revidiertem PBG ZH sind Attikageschosse auf Flachdächern aufgesetzte, zusätzliche Geschosse. Das Attikageschoss muss bei fiktiven Traufseiten gegenüber dem darunter liegenden Geschoss um das halbe Mass seiner Höhe zurückversetzt sein. Wo kein geringeres oder grösseres Mass bestimmt ist, dürfen Dachaufbauten – vorbehältlich Kamine, Anlagen zur Nutzung von Sonnenenergie und kleinere technisch bedingte Aufbauten, insgesamt nicht breiter als die Hälfte der betreffenden Fassadenlänge sein, sofern sie bei Flachdächern das vorgeschriebene Mass der Rückversetzungen unterschreiten.
Mit der Definition der Traufseite und die Begrenzung der Dachaufbauten auf einen Drittel bzw. der Hälfte der betreffenden Fassadenlänge ist der Spielraum für die Anordnung von Attikageschossen entsprechend eingeschränkt bzw. eine sog. abweichende Positionierung der Attikageschosse, wie sie bis anhin in einigen Gemeinden im Kanton St. Gallen möglich war, im Kanton Zürich nicht möglich.
Fazit
Diejenigen Gemeinden, die ihre Baureglemente noch nicht an das neue PBG SG angepasst haben und die weiterhin eine liberale Haltung betreffend Gebäude- und Dachformen sowie zweckmässige Lösungen hinsichtlich Attikageschosse vertreten wollen, sind gut beraten, den vorliegenden Entscheid des BUDE sorgfältig zu studieren und die Formulierungen in ihren zukünftigen Baureglementen sorgfältig abzufassen. Dennoch: eine gewisse Rechtsunsicherheit bei der Umsetzung des neuen PBG SG in den Baureglementen der politischen Gemeinden im Kanton St.Gallen bleibt, wie das Beispiel der politischen Gemeinde Gommiswald aufzeigt. Hingegen zeigt der Rechtsvergleich, dass Bauherren bzw. Bauherrinnen im Kanton Zürich ebenso wenig frei sind, die Attikageschosse frei zu positionieren.