Verzögerung von Bauvorhaben: Ungerechtfertigte Einsprachen und Rechtsmittel
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Ablauf eines Einsprache- und Rechtsmittelverfahrens am Beispiel des Kantons St. Gallen
Im öffentlichen Baurecht sind die Möglichkeiten für Nachbarn, sich gegen ein unliebsames Bauvorhaben zur Wehr zu setzen, stark ausgebaut. Da das Baubewilligungsverfahren vom kantonalen Recht geregelt wird, bestehen grosse Unterschiede mit Bezug auf das Verfahren, die Fristen, den Instanzenzug etc.
Zur Illustration wird ein typisches Einsprache- und an dieses anschliessendes Rechtsmittelverfahren am Beispiel des Kantons St. Gallen dargelegt, wobei die Rechtslage in vielen Schweizer Kantonen ähnlich ist. Dabei wird der Einfachheit halber nur auf die Möglichkeit zur Erhebung einer öffentlich-rechtlichen Einsprache eingegangen. Die sogenannten privatrechtlichen Einsprachen werden ausgeklammert. Zudem wird im nachfolgenden Beispiel davon ausgegangen, dass das Bauvorhaben sämtliche öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften einhält und somit die Baubewilligung erteilt werden muss:
- Baugesuche sind im Kanton St. Gallen während 14 Tagen öffentlich aufzulegen. Innert der Auflagefrist kann bei der Baubewilligungsbehörde (Gemeinderat oder spezielle Baukommission) Einsprache erhoben werden. Dabei genügt es, innert der Frist eine unbegründete Einsprache einzureichen und eine Fristerstreckung um 14 Tage für Antragstellung und Begründung zu verlangen. Die Baubewilligungsbehörde gewährt in diesem Fall eine einmalige Nachfrist von 14 Tagen für Antragstellung und Begründung.
- Die Baubewilligungsbehörde führt einen Schriftenwechsel und bei Bedarf einen Augenschein und/oder eine Einspracheverhandlung durch. Anschliessend entscheidet die Baubewilligungsbehörde über die Einsprachen und das Baugesuch. Sofern das Bauvorhaben alle öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften einhält, erteilt die Baubewilligungsbehörde die Baubewilligung und weist die Einsprachen ab.
- Gegen den Bau- und Einspracheentscheid können die zur Einsprache berechtigten Nachbarn Rekurs beim kantonalen Baudepartement erheben. Die Rekursfrist beträgt 14 Tage, wobei auch hier eine Fristerstreckung für die Rekursbegründung beantragt werden kann. Im Rekursverfahren vor Baudepartement können neue Argumente gegen das Bauvorhaben vorgebracht werden. Die Einsprecher bzw. Rekurrenten können somit geltend machen, dass Vorschriften verletzt seien, auf welche sie sich im erstinstanzlichen Einspracheverfahren noch nicht berufen haben.
- Das Baudepartement führt einen Schriftenwechsel und bei Bedarf einen Rekursaugenschein durch. Erweist sich der Rekurs als unbegründet, weist das Baudepartement den Rekurs ab und bestätigt die Erteilung der Baubewilligung und die Abweisung der Einsprachen.
- Gegen den Entscheid des Baudepartements können die Nachbarn innert 14 Tagen Beschwerde beim Verwaltungsgericht erheben, wobei wiederum die Möglichkeit
besteht, eine Fristerstreckung für die Beschwerdeergänzung zu beantragen. Im Verfahren vor Verwaltungsgericht können keine neuen Argumente mehr vorgebracht werden. Das Verwaltungsgericht beschränkt sich auf eine rechtliche Kontrolle der Entscheide der Vorinstanzen. - Das Verwaltungsgericht führt einen Schriftenwechsel durch. Auch ein Augenschein durch das Verwaltungsgericht ist möglich, in der Praxis jedoch sehr selten. Erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weist das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab und bestätigt die Erteilung der Baubewilligung und die Entscheide der Vorinstanzen.
- Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts können die Nachbarn innert 30 Tagen Beschwerde beim Bundesgericht erheben. Auch das Bundesgericht führt einen Schriftenwechsel durch. Vor Bundesgericht kann im Wesentlichen nur die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden. Da es sich bei öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften grösstenteils um kantonales oder gar kommunales Recht handelt, ist die Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts stark eingeschränkt. Das Bundesgericht prüft die Auslegung von kantonalem oder kommunalem Recht durch die Vorinstanzen nur auf Willkür hin. Es greift in die Auslegung durch die Vorinstanzen nur dann ein, wenn diese willkürlich, d.h. krass fehlerhaft ist.
- Sofern sich die Beschwerde an das Bundesgericht als ungerechtfertigt erweist, weist dieses die Beschwerde ab und bestätigt die Erteilung der Baubewilligung und die Entscheide der Vorinstanzen.
Der Instanzenzug von der kommunalen Baubewilligungsbehörde bis vor Bundesgericht kann schnell mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Gemäss st. gallischem Recht haben alle Rechtsmittel bis auf Stufe Verwaltungsgericht aufschiebende Wirkung. Dies bedeutet, dass mit den Bauarbeiten trotz Erteilung der Baubewilligung durch die Gemeinde nicht begonnen werden kann, solange die Rechtsmittelverfahren noch hängig sind.
Einsprache- und Rechtsmittellegitimation
Obwohl das Baubewilligungsverfahren weitestgehend im kantonalen und kommunalen Recht geregelt ist, ist für die Einsprache- und Rechtsmittellegitimation die Rechtsprechung des Bundesgerichts massgeblich. Dies ergibt sich daraus, dass, wer zur Beschwerde an das Bundesgericht berechtigt ist, sich am Verfahren vor allen kantonalen Vorinstanzen als Partei beteiligen können muss. Die Kantone dürfen die Einsprache- und Rechtsmittellegitimation deshalb nicht enger fassen als das Bundesrecht.
Räumliche Nähe
Die Einsprache- oder Rechtsmittellegitimation setzt zunächst eine hinreichend nahe räumliche Beziehungsnähe zum Bauvorhaben voraus. Die einsprechende Partei muss in der Nähe des Bauvorhabens wohnen oder Eigentümer eines Grundstücks in der Nähe des Baugrundstücks sein. Nicht vorausgesetzt ist ein direktes Nachbarschaftsverhältnis zum Baugrundstück.
Praktischer Nutzen
Neben der räumlichen Nähe ist vorausgesetzt, dass der Nachbar einen praktischen Nutzen aus der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids zieht. Ein praktischer Nutzen wird in der Praxis insbesondere darin gesehen, dass ein Bauvorhaben in der Nachbarschaft nicht ausgeführt wird. Entsprechend kann sich ein Einsprecher auf sämtliche Vorschriften berufen, welche sich rechtlich oder tatsächlich auf seine Stellung auswirken können.
Nicht vorausgesetzt ist demgegenüber, dass die Normen, auf welche sich ein Einsprecher beruft, spezifi sch seinem Schutz dienen (vgl. z.B. BGE 133 II 249). Ein Nachbar kann somit nicht nur geltend machen, dass der Grenzabstand zu seinem Grundstück verletzt werde oder das Gebäude zu hoch sei. Vielmehr kann er beispielsweise auch geltend machen, dass die Ausnützungsziffer überschritten sei oder dass bei den Wohnungen im geplanten Neubau die Lärmschutzvorschriften wegen einer benachbarten lärmbelasteten Strasse nicht eingehalten seien.