Öffentliche Ausschreibungen: Hinweise aus der Praxis
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Öffentliche Ausschreibung: Vorbemerkung
Im Rahmen meiner anwaltlichen Tätigkeit im Vergaberecht werde ich immer wieder mit ähnlichen Fragestellungen in Bezug auf die Erstellung von Ausschreibungsunterlagen sowie die Auswertung von Angeboten konfrontiert. Dieser Beitrag zeigt (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) eine Auswahl solcher Fragestellungen auf.
Vorbefassung
Die Gewährleistung eines echten, fairen und offenen Wettbewerbs stellt ein wesentliches Ziel des Vergaberechts dar. Jedoch ist ein solcher Wettbewerb nur unter der Prämisse möglich, dass für alle Bewerber die gleichen Wettbewerbsbedingungen gelten. Neben Gleichbehandlungsgrundsatz sowie Diskriminierungsverbot ist deshalb auch der Grundsatz der Vorbefassung zentral im öffentlichen Beschaffungsrecht. Der Grundsatz der Vorbefassung verlangt, dass Personen und Unternehmen, welche an der Vorbereitung für öffentliche Ausschreibungen dergestalt beteiligt waren, dass sie den Zuschlag zu ihren Gunsten beeinflussen können, sich am Vergabeverfahren nicht mehr beteiligen dürfen. Auf welche Art mitgewirkt wurde, spielt dabei grundsätzlich keine Rolle; es kann dies u.a. durch das Verfassen von Projektgrundlagen, das Erstellen von Ausschreibungsunterlagen oder das Bereitstellen von bestimmten technischen Spezifikationen für die Beschaffung passiert sein. Die Verfahrensbeteiligung wird (restriktiv) lediglich dann als zulässig erachtet, falls der aufgrund der Vorbefassung bewirkte Wissensvorsprung nur zu einem geringfügigen Vorteil gegenüber den anderen Anbietern führt, untergeordneter Natur ist und die Mitwirkung bzw. der Wissensvorsprung gegenüber den übrigen Anbietern offengelegt wird. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist jeweils im Einzelfall zu prüfen.
Falls nun eine Firma im Vorfeld einer Ausschreibung involviert war und beispielsweise Prospekte, technische Spezifikationen oder Ansichtsmaterialien in Bezug auf den Beschaffungsgegenstand (oder Teile davon) zur Verfügung gestellt hat, handelt es sich im Grundsatz um eine unzulässige Vorbefassung. Eine solche Vorbefassung führt bei der betreffenden Firma nämlich zu einem unzulässigen Wissensvorsprung, wobei der Anschein, dass nicht für alle Anbieter die gleichen Voraussetzungen gegeben sind, bereits ausreicht. Das Gebot der Fairness und das Gleichbehandlungsprinzip werden dadurch verletzt. Die betreffende Firma ist mithin zur Submission nicht mehr zuzulassen.
Obwohl solche Vorbefassungen den anderen Anbietern nicht immer bekannt sind, muss davon ausgegangen werden, dass diese in einem allfälligen Beschwerdeverfahren zum Thema werden können. Die Rüge der Vorbefassung ist umgehend vorzubringen, d.h. von der Vorbefassung Kenntnis genommen wurde.
Vergabestellen ist zu empfehlen, bei der Vorbereitung von Ausschreibungen darauf zu achten, dass keine solchen Vorbefassungen entstehen. Eine solche kommt für die Vergabestelle insbesondere dann äusserst ungelegen, wenn es eine Firma betrifft, die für die Vergabestelle eine potenzielle und «gewünschte» Vertragspartnerin gewesen wäre. Dasselbe gilt für potenzielle Anbieter: Werden diese von einer Vergabestelle für eine konkrete Mitwirkung an der Vorbereitung einer Beschaffung angefragt, müssen sich diese bewusst sein, dass dies das Aus für eine Teilnahme am späteren Vergabeverfahren bedeuten kann.
Praxis-Tipp: Die Vergabestellen tun zudem gut daran, in der Ausschreibung allfällige Vorbefassungen konkret zu deklarieren und entsprechend die Teilnahme vorbefasster Firmen an der Submission zu verbieten.
Produktneutrale öffentliche Ausschreibung
Immer wieder anzutreffen sind nicht produktneutrale Ausschreibungen, obwohl nach vergaberechtlichen Kriterien gilt, dass technische Spezifikationen produktneutral vorzunehmen sind. Die Vergabestelle hat es zu vermeiden, dass technische Spezifikationen auf einen bestimmten Anbieter zugeschnitten sind. Anforderungen und Hinweise auf bestimmte Handelsmarken und Produzenten sind im Grundsatz nicht zulässig. Eine Ausnahme kann unter Umständen dann bestehen, wenn keine hinreichend genaue oder verständliche Beschreibung des Beschaffungsgegenstands möglich ist und der Zusatz «oder gleichwertig » verwendet wird.
Falls nun in eine Ausschreibung z.B. detaillierte Bilder und Produktebeschriebe von auf dem Markt existierenden Produkten übernommen werden, ist der Beschaffungsgegenstand offensichtlich nicht produktneutral ausgeschrieben worden. Dabei kann in der Regel kaum von einem Ausnahmefall ausgegangen werden, der einen Verzicht auf eine produktneutrale Ausschreibung rechtfertigen könnte, wobei diesfalls die Verwendung des Zusatzes «oder gleichwertig» am Ergebnis nichts ändert. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Beschaffung ohne Weiteres hätte produktneutral ausgeschrieben werden können, was für die Vergabestelle im Ergebnis natürlich mehr Aufwand bedeutet hätte.
Gerne wird dieses Problem von Vergabestellen dadurch relativiert, dass die Anbieter die Ausschreibung nach der Publikation im Amtsblatt und auf www.simap.ch nicht innert der Frist von zehn Tagen angefochten haben. Dennoch ist diesbezüglich die Rechtsprechung nicht völlig klar und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Anfechtung wegen einer nicht produktneutralen Ausschreibung im Beschwerdeverfahren doch noch zulässig ist.
Vergabestellen ist dementsprechend zu empfehlen, ihre Ausschreibungen in der Regel produktneutral vorzunehmen. Wird dennoch ein gewisser Bestandteil zwingend von einem bestimmten Anbieter benötigt, was oftmals im Anlagenbau vorkommt, besteht ebenfalls die Möglichkeit (falls die anwendbaren Schwellenwerte dem Vorgehen nicht entgegenstehen), den fraglichen Bestandteil freihändig einzukaufen und bauseits zur Verfügung zu stellen.
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Preisgewichtung und Preisspanne
Als Faustregel gilt: Das Zuschlagskriterium «Preis» hat ein umso grösseres Gewicht, je einfacher und standardisierter eine Leistung ist. Das bedeutet in der Regel, dass die Preisgewichtung
- bei einfachen Aufträgen bei 60 bis 80%,
- bei komplexen Aufträgen bei 20 bis 50% und
- bei sehr komplexen Aufträgen – gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung – in jedem Fall mindestens bei 20% liegen sollte.
Schreibt nun eine Vergabestelle eine standardisierte Leistung aus, sollte sie die Gewichtung des Zuschlagskriteriums «Preis» auf jeden Fall im Bereich von 60 bis 80% festsetzen. Das heisst aber nicht, dass tiefere Gewichtungen von den Gerichten nicht geschützt würden. Dem Autor sind Fälle bekannt, in welchen Gerichte Preisgewichtungen bei standardisierten Leistungen – mit Hinweis auf das grosse Ermessen der Vergabestellen – noch im Bereich von 45% geschützt haben. Trotzdem muss man sich bewusst sein, dass die diesbezüglichen Beschwerdeverfahren insbesondere infolge der vorgenommenen tiefen Preisgewichtung eingeleitet wurden, was wiederum zu Verzögerungen im Beschaffungsprozess geführt hat. Eine transparente und nachvollziehbare Gewichtung des Zuschlagskriteriums «Preis» kann deshalb im Ergebnis präventiv dazu führen, dass gar keine Beschwerden erhoben und Beschaffungsvorhaben ohne Verzögerung umgesetzt werden können.
Dasselbe gilt auch hinsichtlich der Preisspanne, deren Festsetzung ebenfalls von der Art der Beschaffung abhängig ist. Konkret bedeutet dies, dass bei einfachen Arbeiten grundsätzlich mit einer tieferen Preisspanne zu rechnen ist als bei anspruchsvollen Beschaffungen. Die Preisspanne ist somit – wie auch die Preisgewichtung – im Einzelfall unter Bezugnahme auf die zu beschaffende Leistung festzusetzen. Die Festsetzung der Preisspanne darf nicht zu einer Verwässerung des Preiskriteriums führen.
Bei gewöhnlichen Beschaffungen führt oftmals die Standard-Preisspanne von 50% zu vernünftigen Ergebnissen. Dabei erhält der tiefste Preis z.B. 100 Punkte. Beträgt die Differenz eines Angebots zum tiefsten Preis mehr als 50%, erhält dieses Angebot 0 Punkte – Zwischenwerte werden linear interpoliert.
Bemusterung
Insbesondere bei Möbelbeschaffungen, z.B. für Schulhäuser oder Verwaltungsgebäude, werden immer wieder sog. Bemusterungen durchgeführt. Teilweise werden für solche Bemusterungen Schüler und Lehrpersonal eingesetzt, welche dann die zu beschaffenden Möbel testen und benoten sollen.
Vergaberechtlich erscheint ein solches Vorgehen kritisch, da es sich bei den Schülern und beim Lehrpersonal um Dritte handelt, welche mit dem Beschaffungsprozess an sich nichts zu tun haben. Deshalb darf die Benotung durch solche Dritte nicht in die Bewertung (zumindest sicherlich nicht im Verhältnis 1:1, allenfalls höchstens als ein einzelnes Kriterium unter vielen) einfliessen. Könnte es doch sein, dass solche Benotungen manipuliert sind, z.B. wenn ein Dritter in einem nahen Verhältnis zu einem Anbieter steht.
Bemusterungen sollten – falls solche effektiv notwendig sind – grundsätzlich von der Vergabestelle selbst durchgeführt werden (inkl. Testung und Benotung). Es versteht sich zudem von selbst, dass es vergaberechtlich problematisch ist, wenn ein Anbieter seine Produkte anlässlich der Bemusterung vorstellt und bewirbt.
Freihändige Vergaben gestützt auf den Ausnahmetatbestand der Dringlichkeit und Unvorhersehbarkeit
Vergabestellen begründen freihändige Vergaben immer wieder gestützt auf den Ausnahmetatbestand der Dringlichkeit und Unvorhersehbarkeit. Danach ist aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse die Beschaffung derart dringlich, dass kein offenes, selektives oder Einladungsverfahren mehr durchgeführt werden kann. Die Beweislast für die Unvorhersehbarkeit sowie Dringlichkeit trägt die Vergabestelle.
In diesem Zusammenhang verkennen Vergabestellen gern, dass sich solche freihändig vergebenen Aufträge nicht über andere Leistungen erstrecken dürfen als über jene, deren sofortige Vergabe erforderlich ist. Das bedeutet, dass z.B. eine IT-Vergabe über mehrere Millionen Schweizer Franken kaum ohne Weiteres gestützt auf den Ausnahmetatbestand der Dringlichkeit und Unvorhersehbarkeit (sofern dieser überhaupt angerufen werden kann) freihändig vergeben werden kann. Vielmehr ist die freihändige Vergabe nur über diejenigen Leistungen vergaberechtlich zulässig, deren sofortige Vergabe zwingend und ohne Aufschub notwendig ist. Die übrigen Leistungen sind nach wie vor öffentlich auszuschreiben.
Zulässigkeit von Erläuterung und Berichtigung
Vorbehalte in Angeboten sind nicht zulässig und führen in der Regel zum Ausschluss vom Vergabeverfahren. Dasselbe gilt, wenn Anbieter die geforderten Eignungskriterien nicht erfüllen bzw. falsche Auskünfte erteilt haben.
In solchen Fällen stellt sich aufseiten der Vergabestellen immer wieder die Frage, ob sich solche Mängel durch Erläuterung und Berichtigung «heilen» lassen, um den Anbieter nicht ausschliessen zu müssen.
Wichtiger Hinweis: Grundsätzlich gilt im Submissionsrecht, dass im Rahmen der Offertbereinigung seitens der Vergabestelle bei den Anbietern Erläuterungen und Berichtigungen eingeholt werden können. Dieses Vorgehen muss jedoch restriktiv erfolgen.
In Fällen, in denen die Ausschreibungsunterlagen klare Vorgaben machen, der Anbieter aber dennoch falsche und unvollständige Angaben einreicht, muss beim Anbieter im Grundsatz nicht nachgefasst werden. An diese Leitlinien hat sich die Vergabestelle zu halten. Auch machen Erläuterungen und Berichtigungen nur Sinn, wenn die Antworten des Anbieters noch in die Bewertung einfliessen können (also vor dem Zuschlag).
Unter diesen restriktiven Bedingungen sind Erläuterungen und Berichtigungen in den meisten Fällen nicht zulässig. Das gilt auch insbesondere für die sog. «technische Bereinigung» (von Bagatellen abgesehen [Stichwort: überspitzte Formalismus]), wenn ein Anbieter teilweise falsche und unpassende Produkte angeboten hat. Vergabestellen sind deshalb gut beraten, wenn sie bei mangelhaften Angeboten zuerst rechtlich prüfen, ob eine Erläuterung und Berichtigung zulässig ist. Ist das nicht der Fall, kann ein Anbieter im Beschwerdeverfahren, falls ihm die unzulässige Erläuterung und Berichtigung bekannt ist, oder auch das befasste Gericht bei Kenntnis der Verfahrensakten, einen zu Unrecht nicht erfolgten Ausschluss noch durchsezten.
Verbot von Anbieter-AGB
Wichtiger Hinweis: In Ausschreibungen wird häufig ausgeführt, dass AGB des Anbieters nicht akzeptiert würden. In der Praxis ist ein solches Verbot jedoch oftmals praktisch nicht durchsetzbar. Dies vor allem dann, wenn die Vergabestelle in einem «Anbietermarkt» ausschreibt.
Weltweit führende Firmen liefern ihre Produkte nur unter der Bedingung, dass ihre AGB (mit Haftungsbeschränkungen usw.) akzeptiert werden.
Falls sich solche Firmen an einer Ausschreibung mit einem Verbot von Anbieter-AGB beteiligen, reichen sie – falls sie clever sind – mit ihrem Angebot in der Regel keine AGB ein, da dies zum Ausschluss führen würde. Dennoch wird in den Angeboten (teils mehr oder weniger detailliert) erwähnt, dass gewisse Vorbehalte bestehen würden und diese im Rahmen der Vertragsverhandlungen zu diskutieren seien. Das kann dazu führen, dass die AGB des Anbieters (nach Erteilung des Zuschlags) quasi «durch die Hintertür» im Rahmen der Vertragsbereinigung doch noch einfliessen.
Vergabestellen, die in diesem Umfeld ausschreiben, steht es frei, neben dem Ausschluss von Anbieter-AGB (vor allem um ausländische, wenig qualifizierte Anbieter unter Kontrolle zu halten) in der Ausschreibung und im Vertragsentwurf bewusst auf konkrete Bestimmungen hinsichtlich der Haftung usw. zu verzichten. Das bewirkt, dass das Angebot aufgrund von Vorbehalten und fehlender Angaben nicht ausgeschlossen werden muss und die Vorbehalte im Rahmen der Vertragsverhandlungen zwischen der Vergabestelle und dem Anbieter noch diskutiert werden können.
Dass ein anderer Anbieter von den Vorbehalten Kenntnis erhält, ist theoretisch natürlich möglich. Jedoch ist praktisch nicht damit zu rechnen, dass in einem allfälligen Beschwerdeverfahren ein zwingender Ausschluss erfolgreich geltend gemacht werden kann, zumal eine entsprechende Akteneinsicht vor Gericht kaum gewährt wird.
Vertragsschluss
Nachdem der Zuschlag in einem Vergabeverfahren einer Firma erteilt wurde, kann der Vertrag nur mit dieser Firma abgeschlossen werden. In der Praxis kommt es vor, dass nach dem Zuschlag plötzlich Projektabwicklungsfirmen auf der Bildfläche erscheinen und als Vertragspartner der Vergabestelle eingesetzt werden sollen.
Von einem solchen Vorgehen ist grundsätzlich jeder Vergabestelle abzuraten. Vor allem aber könnte im Vertragsschluss mit der Projektabwicklungsfirma (anstatt dem Zuschlagsempfänger) eine unzulässige Freihandvergabe gesehen werden, welche mit Submissionsbeschwerde anfechtbar ist.
Natürlich ist in einem solchen Fall die Gefahr, dass ein nicht berücksichtigter Anbieter davon Kenntnis erhält und eine Beschwerde gegen den Zuschlag erhebt, relativ klein, ganz nach der Redewendung «Wo kein Kläger, da kein Richter».
Obwohl, die submissionsrechtlichen Risiken als eher gering einzustufen sind, ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass Vergabestellen verpflichtet sind, das Vergaberecht korrekt umzusetzen und sämtliche Anbieter gleichzubehandeln. Diese Pflicht würde durch ein solches Verhalten nicht erfüllt und eine Angreifbarkeit der Vergabestelle ist nicht auszuschliessen.